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Tonträger
GUSTAV MAHLER (1860 – 1911): Symphony No. 4
Arrangement for soprano and ensemble by Klaus Simon (© 2007 Universal Edition)
ARTUR SCHNABEL (1882 – 1951): Lieder from Op. 11 & Op. 14
Arrangement for soprano and ensemble by Graziella Contratto (© 2016 Peermusic III, Ltd)

World Premiere Recording
RACHEL HARNISCH Soprano
GRAZIELLA CONTRATTO Conductor
MythenEnsembleOrchestral

© 2017 Claves Records SA, Pully (Suisse)



claves 50-1709

  GUSTAV MAHLER (1860 – 1911)
Symphony No. 4
Arrangement for soprano and ensemble by Klaus Simon (© 2007 Universal Edition)
 
1
I. Bedächtig, nicht eilen
17'03''
2 II. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast 10'05''
3 III. Ruhevoll
21'08''
4 IV. Sehr behaglich (Aus: Des Knaben Wunderhorn: Das himmlische Leben) 10'51''
     
  ARTUR SCHNABEL (1882 – 1951)
Lieder from Op. 11 & Op. 14
Arrangement for soprano and ensemble by Graziella Contratto (© 2016 Peermusic III, Ltd)
 
5 Dann (Op. 11 No. 2)
02'58''
6 Marienlied (Op. 11 No. 4) 01'55''
7 Sieh mein Kind, ich gehe (Op. 11 No. 7) 01'34''
8 Abendlandschaft (Op. 14 No. 14 ) 02'05''
9 Heisst es, viel Dich bitten ? (Op. 14 No. 16) 01'49''

DAS DOPPELTE ALS-OB
MAHLER IM ENSEMBLEFORMAT

Seit dem Gedenkkonzert für Artur Schnabel, das 2009 in meinem Heimatort Schwyz stattfand und von dem noch zu sprechen sein wird, tritt das MythenEnsembleOrchestral unter meiner musikalischen Leitung regelmässig mit der Kammerfassung von Mahlers Vierter Sinfonie auf: an Festivals, in Museumskonzerten oder im privaten Rahmen. Zusammengesetzt aus freischaffenden Kammermusikern und SolistInnen verschiedener Schweizer Sinfonieorchester verhält sich das Ensemble wie eine kleine Kunstrepublik mit starkem Mitspracherecht. Diese Haltung schien mir für Mahlers Musik und seine Art, die einzelnen Orchesterstimmen zu Figuren, Klangmetaphern oder Stimmen der Volksseele aufzuwerten, geradezu ideal. Historisch gesehen fühlten wir uns dabei ganz der Tradition des 1918 im Umfeld von Arnold Schönbergs Komponistenklasse gegründeten ‚Vereins für musikalische Privataufführungen‘ verpflichtet: aufgrund der damaligen inflationären Wirtschaftslage konnte sich der musikbegeisterte Wiener Kreis keine Sinfoniebesetzungen leisten und setzte auf eigens angefertigte, billigere Kammerfassungen im privaten Raum. Auch in der 2007 erschienenen kongenialen Kammer-Version von Klaus Simon beschränkt sich die sinfonische Mahler-Besetzung auf gerademal 14 Instrumente mit Solosopran: Dabei gelingt es dem Bearbeiter, mit einfach besetztem Holz, einem Horn, Streichquintett, Klavier, Akkordeon und zwei Schlagzeugern die ganze Farbenpracht der Mahlerschen Orchestration abzubilden. Uns Interpreten stellte sich die schöne Aufgabe, motivische Umverteilungen und unerwartete Klangschichtungen in der neu eingerichteten Partitur sensibel auszuhorchen und zu gestalten – ein immenses Vergnügen für alle 15 Solistinnen und Solisten!
Gerade im Wimmelbild des Schlusssatzes („Das himmlische Leben“) mit seinen emsigen, sich um Transzendenz foutierenden Himmelswesen, die wild herumtanzen, Schlachtgänge beklatschen und sich den Magen vollschlagen, werde ich ab jetzt das klagende Lamm stets in der Oboenstimme von Beat Anderwert, die Schlachtrufe des Herodes im Horn von Antonio Lagares und das bukolische Wiegen in der Klarinette von Bernhard Röthlisberger in Erinnerung halten – ihr Spiel ist sprichwörtlich-figürlich geworden und liefert uns handverlesene Deutungen. Der Dirigenten-Komponist Mahler selbst hatte diese starke Empathie zwischen Spieler und Werk immer gefordert, sehr zum Leidwesen vieler Orchester seiner Zeit, die seine Musik als emotional belastend oder gar kränkelnd empfanden.
Im Puppenstand
Das Zusammenrücken des Ensembles zeigt aber noch eine andere Wirkung: Der komplexe Humorbegriff, den Mahler in der Vierten verwirklicht sehen mochte, erfährt im Ensemble eine natürliche Umsetzung. Aus Jean Pauls Vorschule zur Ästhetik aus dem Jahre 1831 hatte Mahler voller Begeisterung den Gedanken übernommen, der Humorist messe mit der kleinen Welt die unendliche aus. Tatsächlich: Die kinderleichten, nachpfeifbaren Themen des ersten Satzes, sind sie nicht hinter Papphüten, Kindertrompeten und Blechtrommeln hervorblitzende Angebereien? Die Schellen, die fast schon janitscharenhaft die Strophenübergänge im Schlusslied durchpeitschen, sind sie vielleicht die verzogenen Verwandten des allerersten unschuldigen Klingelings zu Beginn der Sinfonie? Wenn Andreas Janke im bösen Scherzo mit der verstimmten Fiedel zum Totentanz aufspielt, so verzahnt sich darin das Karikaturhafte des Kinderschrecks mit der der für Kinderaugen ‚unendlichen Welt‘, das Schein-Falsche verführt zum Mitstampfen, dann wieder zum verträumten Mitsummen, umschwirrt von allerhand Nachtgeziefer. So zu tun, als ob man gross und stark wäre, so zu spielen, als ob man ein Sinfonieorchester wäre – die Freude an der Camouflage ist durchaus vergleichbar und wir verstehen nun, warum Mahler die Sinfonie zu Beginn der Arbeiten 1899 mit ‚Humoreske‘ betiteln wollte und wie Theodor Wiesengrund- Adorno wohl dazu kam, die Sinfonie als ein Als-ob von der ersten zur letzten Note zu bezeichnen. Dass jenes Humorvolle bei Mahler immer einhergeht mit handwerklicher Brillanz, mit atemberaubender Kontrapunktik, formaler Kohärenz und unvergleichlicher Melodienfülle, muss hier nicht noch speziell unterstrichen werden.
Traum und Wachen
Wie verhält es sich aber mit dem langsamen Satz (‚Ruhevoll‘), von dem Richard Strauss bewundernd meinte, so etwas könne er nicht zustande bringen? Formal eine strenge Doppelvariation nach Brahmsschem Vorbild, oszilliert diese Adagio-schöne Musik zwischen Himmel und Erde, zwischen Traum und Wachen. Bei der vorliegenden Aufnahme übernimmt ein einziges Cello die ursprünglich chorische besetzten Hauptthemen: Benjamin Nyffenegger, sorgsam gestützt von Dariusz Mizeras Bass-Pizzicati, meistert diese Weltenschau mit seinem unverkennbaren Klang und seiner meisterhaften Phrasierungskunst. Exemplarisch für die ganze Sinfonie inspirierte das Dispositiv des Adagios den künstlerischen Aufnahmeleiter und Tonmeister Frédéric Angleraux, ein vielschichtiges, obertonreiches und transparentes Klangbild anzustreben, das gleichzeitig kammermusikalische Nähe und sinfonische Weite bietet. Das Wechselspiel zwischen Transparenz und Transzendenz durchzieht auf diese Weise nicht nur die klangliche Ebene der Aufnahme, sondern führt zurück zur Kernfrage der Sinfonie nach dem Übergang zwischen Leben und Tod. Die Schlüsselstelle dazu erklingt meiner Meinung nach gegen Ende des Ruhevoll-Satzes, völlig überraschend brechen kurz vor Schluss die Geigen und Flöte mit einem Sext-Auftakt in ungestümes Jauchzen aus, es folgen Klavierkaskaden, Streicherarpeggien, triumphale Hornstösse und prägnante Bassformeln, bis schliesslich alles in eine Sphäre des Unwirklichen (‚gänzlich ersterbend‘) mit einem pppp-Bläserakkord in Extremlage mündet. Die Zeit steht still. „ Ist dies der Tod?“ heisst es im rund 50 Jahre später komponierten letzten Lied von Richard Strauss. Mahler stellt die Frage anders und beruft sich dabei auf den von ihm hochgeschätzten Philosophen Gustav Theodor Fechner: In dessen 1836 erschienenen ‚Büchlein vom Leben nach dem Tode‘ steht nachzulesen: „Der Mensch lebt auf der Erde nicht einmal, sondern dreimal. Seine erste Lebensstufe (vor der Geburt) ist ein steter Schlaf, die zweite (das Leben) eine Abwechselung zwischen Schlaf und Wachen, die dritte (nach dem Tod) ein ewiges Wachen.“ Mahlers Frage lautet: Bist du nun für immer wach? Wenn die Sopranistin Rachel Harnisch das Ende der Sinfonie mit den Worten „dass alles in Freuden erwacht“ überstrahlt, versinkt unter ihrem Gesang die Musik in einen Zustand des Uneigentlichen, schwere- und absichtslos. In einem Brief an Natalie Bauer-Lechner schrieb Mahler, das Kind sei im abschliessenden Finale im Himmel angekommen und erkläre aus dem Puppenstand, wie alles gemeint sei. Ob die ganze Sinfonie tatsächlich Leben und Sterben aus der Kinderperspektive zeigt, können wir nicht abschliessend beantworten. Aber wir laden die Hörerinnen und Hörer ein, mit unserer leichter bepackten Fassung die Sinfonie gleichsam mit neuen Koordinaten zu bereisen.

Artur Schnabels Liedkompositionen – Liebeslieder für Therese Behr-Schnabel
Der weltberühmte Pianist, Pädagoge und Komponist Artur Schnabel war 1951 unweit meines Heimatortes Schwyz verstorben und fand seine letzte Ruhestätte im Friedhof unterhalb der beiden Mythen (nun wird auch die Namensgebung für unser Ensemble geklärt sein). Im Herbst 2009 4
fand ein Gedenkkonzert zu seinen Ehren im Schwyzer MythenForum statt: Auf dem Programm standen nebst Mahlers Vierter in der erwähnten Kammerfassung auch einige Lieder aus dem frühen kompositorischen Schaffen des Pianisten, die er um 1900 für seine spätere Frau Therese Behr geschrieben und mit ihr gemeinsam in zahlreichen Liedrezitals aufgeführt hatte. Der 1882 im schlesischen Teil Österreichs geborene Pianist war nie zur Schule gegangen und dafür bereits mit nur neun Jahren in die Klaviermeisterklasse von Theodor Leschetizky in Wien eingetreten. Zu Beginn seiner Berliner Zeit ab 1898 begegnete er während einer Tournee in Ostpreussen der Altistin Therese Behr. Ab da begann eine lebenslange musikalische Partnerschaft rund um das Liedschaffen von Schubert, Beethoven, Brahms oder Schumann und die Liedbegleitung nahm innerhalb der Pianistenkarriere von Artur Schnabel eine gewichtige Rolle ein. Aus der Verehrung für die um sechs Jahre ältere erfolgreiche Lied- und Konzertsängerin wurde schliesslich Liebe und die beiden heirateten 1905. Die für die vorliegende Aufnahme für Gesang und Ensemble arrangierten Lieder stammen aus den Sammlungen von op. 11 und op. 14, bei deren Erscheinen in der Dresdner Zeitschrift ‚Der Kunstwart‘ zu lesen war: „Im ganzen gehören die Lieder zu den besten modernen, die ich kenne. Sie sind echt, musikalisch frei und doch fein gearbeitet, nicht lüderlich (sic!) wie so manche angeblich moderne Musik.“
Angeblich modern
Obwohl fast gleichzeitig entstanden wie Mahlers Vierte, zeigen die Schnabelschen Klavierlieder ein urbaneres Ambiente als die Wunderhornwelt des ‚Himmlischen Lebens‘. Aus diesem Grund wählte ich für meine Ensemblebearbeitung Instrumente oder Spieltechniken aus, die einen Hauch von sozialem Unbehagen in den Satz einschmuggeln, dabei aber trotzdem dem Stil der Zeit treu bleiben: so zum Beispiel Akkordeon, Tamtam und Glockenspiel für Dehmels Uhrgehäuse (‚Dann‘, op. 11 Nr.2), Flatterzunge in der Flötenstimme, col legno jeté und tiré, Flageolette, Ponticello in den Streichern (Abendlandschaft op. 4 Nr. 4). Seine Lieder sind in den breit angelegten Begleitformeln im Klavier zwar der Spätromantik verpflichtet, zeigen sich hingegen fast schon etwas naturalistisch in den eher kürzer geschwungenen Phrasen der Stimme. Seine Gesangsbehandlung erinnert auch daran, dass Therese Behr bei Julius Stockhausen studiert hatte und wie bei ihr Atem, Diktion, Klang und Phrasierung eine gestalterische Einheit bildeten. Rachel Harnischs Gesang ist voller Tiefsinn, anrührender Klangfarben und hochdifferenzierter Textdeutung – eine ideale Kombination im Andenken an das Schnabel-Behr-Duo.
Graziella Contratto

MythenEnsembleOrchestral
Andreas Janke Violin I
Yi-Chen Lin Violin II
Lech Antonio Uszynski Viola
Benjamin Nyffenegger Cello
Dariusz Mizera Double Bass
Miriam Terragni Flute, Piccolo
Beat Anderwert Oboe, English horn
Bernhard Röthlisberger Clarinet, Bass Clarinet
Rui Lopes Bassoon
Antonio Lagares Horn
Pascal Viglino Percussion
Michael Meinen Percussion
Manuel Bärtsch Piano
Teodoro Anzellotti Accordion
Rachel Harnisch Soprano
Graziella Contratto Conductor

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